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arCHaeo 2023.3

Im Jahr 1991 feierte Archäologie Schweiz den 700. Geburtstag der Eidgenossenschaft mit einem Sonderheft, das den Helvetiern gewidmet war. Die von den Gelehrten der Renaissance wiederentdeckten Bewohner des Mittellandes in der ausgehenden Eisenzeit und der römischen Epoche wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu idealen Symbolfiguren für die Einheit der Schweiz. Vor 175 Jahren bewahrte die Verfassung von 1848, welche das Fundament der modernen Schweiz bildete, mit dem lateinischen Namen Confoederatio Helvetica eine Spur dieser Verkörperung – bis einige Jahre später die Pfahlbauer ihnen ihre Rolle streitig machten.

Antike Schriftquellen berichten allerdings erst Ende des 2. Jahrhunderts oder zu Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. von Helvetiern im Schweizer Mittelland. Und obwohl sich die Archäologie schwer tut, eine echte materielle Kultur der Helvetier nachzuweisen, zeigt die jüngeren Forschung, dass es ab den 80er Jahren v. Chr. bereits wieder Anzeichen für Veränderungen gab. Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen, würde dies bedeuten, dass die Helvetier, kaum angekommen, schon wieder an die Auswanderung dachten, ein Aufbruch, der von Caesar in seinem Gallischen Krieg für das Jahr 58 v. Chr. festgehalten wurde.

Die Archäologie hat oft, manchmal sogar wider besseres Wissen, der nationalen Erzählung gedient, indem sie Mythen gestärkt hat. Heute ist es an der Archäologie, diese Mythen zu dekonstruieren, und deutlich zu machen, dass kein Land seine Identität auf ein einziges Volk gründen kann. Die Suche nach den Ursprüngen ist vergeblich, denn wir alle sind das Produkt einer Abfolge verschiedener Bevölkerungsgruppen, die sich wie die Schichten einer archäologischen Ausgrabungsstätte im Laufe der Jahrhunderte übereinander ablagerten.

 

Lionel Pernet, Präsident des Vorstands von Archäologie Schweiz

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